Ethik in der Pflege
Ethische Fragen betreffen nicht nur den medizinischen Bereich. Sie haben die gleiche Bedeutung für die Pflege. Ethik in der Pflege fristete viele Jahre ein Randdasein. Erst seit zirka 20 Jahren erforschen Wissenschaftler gezielt ethische Fragen in der Pflege. Die Ergebnisse ergänzen damit zunehmend die ganzheitliche personenbezogenen Betrachtungsweise in der Pflege mit dem Pflegebedürftigen im Mittelpunkt. Folgender Beitrag soll und kann Fragestellungen hinsichtlich Ethik in der Pflege nicht im Einzelnen beantworten, sondern lediglich die Komplexität und Vielseitigkeit des Themengebietes aufzeigen.
Was ist überhaupt Ethik?
„Ethik ist die Lehre bzw. Theorie vom Handeln gemäß der Unterscheidung von gut und böse. Gegenstand der Ethik ist die Moral.“ (Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/ethik-34332/version-257836, Revision von Ethik vom 19.02.2018 – 15:09).
Moral steht für die Gesamtheit der Werte, Normen, Tugenden, Regeln und Prinzipien, die in einer Gruppe bzw. Gesellschaft gelten bzw. gelten sollen. Jene unabdingbaren Regeln finden wiederum Ausdruck in allgemeingültigen Gesetzen.
Bei Moral und Ethik handelt es sich um wertausfüllungsbedürftige Attribute. Das, was in einer Gesellschaft als gut oder schlecht betrachtet wird, kann in einer anderen Gesellschaft anders gesehen werden. Kultur und Geschichte haben hierauf maßgeblichen Einfluss. Gleichwohl handelt es sich bei der Beurteilung von gut und böse um einen dynamischen Prozess. Äußere Einflussfaktoren oder z. B. politische oder gesellschaftliche Strömungen verschieben Moralvorstellungen häufig.
Pflegeethik: Im Spannungsfeld zwischen Dienstleistung und Moral
Weil ethische Fragestellungen, so auch im Bereich der Pflege, wertausfüllungsbedürftig sind, bedarf es Orientierungshilfen. Orientierungshilfen legen dar, was eine Gesellschafft als moralisch und ethisch korrekt erachtet. Hier schaffen in einem ersten Schritt die Zehn Gebote und insbesondere das darin enthaltene Gebot der Nächstenliebe sowie die Verbote des Tötens und des Stehlens grundlegende Orientierung. Das Verbot des Tötens erscheint im ersten Moment einfach verständlich. Das Gebot der Nächstenliebe hingegen bedarf einer tiefgründigeren Betrachtung und Ausfüllung.
Folgerichtig gab und gibt es viele pflegeethische Erklärungsansätze. Diese verschafften Orientierung für moralisch und ethisch korrektes Verhalten in der Pflege. Als Pionierin in diesem Gebiet gilt gemeinhin die Britin Florence Nightingale. Sie beschäftigte sich in zahlreichen Werken mit Standards in der Pflege. Für ihre Verdienste zeichnete Königin Victoria Nightingale 1883 mit dem Roten Kreuz aus. Zu den weiteren Meilensteinen in der Pflegeethik gehören der 1953 durch den ICN (International Council of Nourses) veröffentlichte ICN-Ethikkodex, das Werk “The Nurse’s Dilemma: Ethical Considerations in Nursing Practice” von Sara T. Fry im anglo-amerikanischen Raum aus dem Jahr 1977 sowie im deutschen Raum die vom DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe) im Jahr 1995 veröffentlichte Publikation mit dem Titel „Ethik in der Pflegepraxis. Anleitung für ethische Entscheidungsfindungen“.
Pflegeethik bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen Dienstleistung und Moral. Pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige haben den Anspruch bzw. die Erwartungshaltung guter bzw. richtiger Pflege. Gute bzw. richtige Pflege setzt jedoch auch pflegende Personen voraus, die eine gute Pflegedienstleistung erbringen. Dementsprechend besteht eine Erwartungshaltung von guter Moral und ethisch korrektem Verhalten gegenüber Pflegekräften.
Fragen der Pflegeethik gehen jedoch über das Verhalten bzw. die Person des Pflegenden hinaus. Gleichermaßen liegt der Fokus auf den organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen.
Organisatorische und institutionelle Rahmenbedingungen
Hierzu gehören wie oben dargelegt Antworten auf die Frage, nach welchem Leitbild, nach welchem Selbstverständnis und nach welchen Normen und Werten gepflegt werden soll. Von besonderer Relevanz zeigt sich an der Stelle, ob diese Normen und Werte mit den eigenen Wertevorstellungen und dem Menschenbild übereinstimmen. Oder existieren zum Beispiel kulturell geprägt andere Normen und Werte.
Ebenso gehören hierzu Überlegungen, was zu einem würdevollen und selbstbestimmten Leben von pflegebedürftigen Menschen zählt. Hier kommt es wieder zu unterschiedlichen Auffassungen vor allem im Hinblick auf die Bereitstellung von Pflegemitteln oder der Kostenübernahme von Behandlungen, die nicht selten vor der Sozialgerichtsbarkeit enden. Das ältere (und pflegebedürftige) Menschen in der westlichen Gesellschaft heutzutage ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben führen können und bei Bedarf gepflegt werden, ist in anderen Gesellschaften nicht der Fall. Einigen Quellen zufolge entledigten sich manche Naturvölker Südamerikas und Afrikas ihrer Alten, da sie diese als “Ballast” für die Gesellschaft ansahen. Hier galten bzw. gelten andere Werte und Normen, die mitunter auch in einer fehlenden Altersvorsorge und mangelnden Ressourcen begründet liegen können.
Ressourcenverteilung
Vorhandene Ressourcen in finanzieller und personeller Hinsicht und deren Angemessenheit stellen einen weiteren wichtigen Teilbereich dar, mit dem sich die Pflegeethik befasst. Was kann und darf die Pflege einer Person kosten, wer entscheidet darüber und ist dies angemessen? Ausdruck findet dies in den fünf Pflegegraden, über die wiederum ein Gutachter nach festgelegten Kriterien entscheidet. Diesen Kriterien liegt wiederum ein Leitbild zugrunde, welchen Stellenwert die Pflege einnimmt.
Schließlich spielt bei Fragen der Pflegeethik auch die Rolle von Ärzten eine wichtige Rolle. Ärzte entscheiden über die Verabreichung von Medikamenten und Behandlungsmethoden. Dadurch entscheiden sie auch über das Wohl der Patienten von Pflegebedürftigen.
Häufig berichtet die Presse in diesem Zusammenhang von Pflegenotstand. Pflegenotstand entstammt als Schlagwort der Politik. Es prangert vor allem fehlende personelle Ressourcen in der Pflege an. Mangelnde Wertschätzung für den Pflegeberuf, hohe Arbeitsbelastung und unattraktive Verdienstmöglichkeiten waren und sind in diesem Zusammenhang die häufig genannten Ursachen, warum immer weniger Menschen als Pflegekräfte arbeiten.
Mit den Pflegestärkungsgesetzen 1 und 2 versucht der Gesetzgeber, dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Politiker erhoffen sich so für den Pflegeberuf und die Pflege einen höheren Stellenwert.
Fazit
Pflegeethik ist ein sehr komplexes Thema. Dabei trifft ein ökonomisches Verteilungsproblem vorhandener Ressourcen auf Ethik und Moral sowie auf medizinisch- und pflegerische Notwendigkeit. Zwischen diesen Parametern bestehen vielerlei Wechselwirkungen.
Ausgehend vom ökonomischen Aspekt könnte der Zusammenhang lauten:
Je mehr einer Gesellschaft zur Verfügung steht, desto mehr kann sie davon für die Pflege zur Verfügung stellen. Daraus resultiert eine bessere Pflege.
Daraus entstehen weitere Fragen, wie z. B. die Ermittlung des Anteils, der für die Pflege verwendet werden soll, ob dieser ausreicht und wieder verteilt wird.
Rückwärts gedacht, d. h. bei Ermittlung des Pflegebedarfs nach zuvor definierten ethisch-moralischen Grundsätzen, könnte der Pflegebedarf die vorhandenen Ressourcen übersteigen, was wiederum zu einem Verteilungsproblem führen würde.
Der demografische Wandel erschwert diese Betrachtungen zusätzlich. Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung in westlichen Gesellschaften steigt der Anteil älterer Menschen mit Alterserkrankungen bzw. Alterserscheinungen. Damit einhergehend steigt voraussichtlich auch der Pflegebedarf. Wird aktuell zu viel verteilt und nicht für künftigen Pflegebedarf gespart, kann eine Deckungslücke entstehen. Bleibt diese bestehen oder kann nicht durch Effizienzmaßnahmen kompensiert werden, ist davon auszugehen, dass sich die Pflege verschlechtert. Wird diese jedoch durch zusätzliche Abgaben ausgeglichen und erwerbstätige Menschen würden hierzu mit Steuern und Abgaben stärker belastet, kann es zu einem Wandel des Menschenbildes kommen und ältere Menschen könnten nun als „Ballast“ empfunden werden.
Im Ergebnis geht es darum Verantwortung zu übernehmen.