Demografischer Wandel und Auswirkungen auf die Pflege
Was ist der demografische Wandel?
Es gibt unterschiedliche Abgrenzungen und somit auch variierende Definitionen von demografischem Wandel. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist damit vor allem die Veränderung der Altersstruktur gemeint. Doch hierbei handelt es sich nur um eine Teilbetrachtung, denn neben dem Alter findet demografischer Wandel z. B. auch im Geschlechterverhältnis oder der Migration statt. Die vollständige Definition von demografischem Wandel beschreibt daher die allgemeine Veränderung der Bevölkerungsstruktur, zunächst unabhängig von Ordnungskriterien.
Im Rahmen dieses Beitrags konzentrieren wir uns auf die Veränderung der Altersstruktur. Während in Entwicklungsländer mit einer hohen Geburtenrate das Durchschnittsalter zwischen zirka 15 und 25 Jahren liegt, beträgt dieses in westlichen Industrienationen mit gleichzeitig geringeren Geburtenraten zwischen 40 und 45 Jahren. Wird zusätzlich zu diesen Zusammenhängen noch der steigende medizinische Fortschritt und damit einhergehend eine steigende Lebenserwartung berücksichtigt, so erscheint deutlich, dass das Durchschnittsalter als auch die absolute Anzahl älterer Menschen sowie deren prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung weiter zunehmen werden. D. h. die Sterblichkeitsrate bzw. der Zeitpunkt des Sterbens und die Geburtenrate beeinflussen den demografischen Wandel.
Laut Bundeszentrale für politische Bildung gehen Prognosen davon aus, „dass 2060 jeder Dritte mindestens 65 Jahre alt sein wird.“ (Quelle: https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/demografischer-wandel/)
Infolgedessen wird es in Deutschland und anderen westlichen Ländern immer mehr ältere Menschen geben, deren Bedürfnisse und Anforderungen andere sind als die von jüngeren
Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf das tägliche öffentliche Leben?
Ohne Experte oder Wissenschaftler sein müssen, ist nachvollziehbar, dass ein voranschreitender demografischer Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft Veränderungen mit sich bringen wird. In welchem Umfang Veränderungen notwendig sind, darüber streiten sich die Gelehrten. Schließlich sind Veränderungen auch mit Kosten bzw. Mühen verbunden und somit auch regelmäßig Bestandteil politischer Kontroversen.
Anpassungen sind vor allem im Bereich der Infrastruktur und der Arbeitswelt / Wirtschaft erforderlich bzw. dort werden sich zwangsläufig Veränderungen ergeben.
Auswirkungen Infrastruktur
Medizinische Versorgung
Durch medizinischen Fortschritt ergeben sich verbesserte medizinische Behandlungsmöglichkeiten. D. h. Ärzte und Krankenhäuser müssen zunehmend Alterserkrankungen bzw. Alterserscheinungen behandeln und hierfür die notwendige medizinische Infrastruktur schaffen.
Pflege
Durch die steigende Anzahl älterer Menschen wird auch die Anzahl derjenigen Menschen steigen, die Pflege benötigen. Der Pflegebedarf steigt hierbei nicht nur quantitativ, sondern durch den medizinischen Fortschritt auch qualitativ. Um dem zusätzlichen Pflegeaufwand quantitativ bewältigen zu können, müssen Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen ihre Kapazitäten durch Personalaufstockungen, zusätzlichen Fahrzeugen oder in stationären Einrichtungen durch zusätzliche Zimmer begegnen. Gleichzeitig müssen Menschen bereit sein, in Pflegeberufen zu arbeiten.
Die drei verabschiedeten Pflegestärkungsgesetze, Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen als auch durch die Anwerbung von ausländischen Pflegekräften sind wichtige Beispiele zur Bewältigung des quantitativ als auch qualitativ steigenden Pflegebedarfs.
Durch die steigende Lebenserwartung (Zum Vergleich: Im Jahr 1960 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern bei 66,49 Jahren und bei Frau bei 71,68 Jahren; im Jahr 2019 bei Männern bei 78,63 Jahren und bei Frauen bei 83,36 Jahren. Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/S31-Lebenserwartung-Geburt-Geschlecht-ab-1871.html) steigen nicht nur die medizinischen, sondern auch die pflegerischen Anforderungen. Eine stetig voranschreitende Einschränkung des Bewegungsapparates beispielsweise und damit einhergehende Schmerzen oder situationsbedingter Verdruss des pflegebedürftigen Menschen stellen immer mehr Anforderungen an das Pflegepersonal sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht.
Wohnraum
Soll die Pflege ambulant im eigenen Haus oder der Wohnung erfolgen, müssen die Räumlichkeiten auf die Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen angepasst werden. Priorität hat hierbei die Beseitigung von Barrieren. Zu den nötigen Umbaumaßnahmen gehört vor allem das Badezimmer. Spülrandloses WC, bodengleiche Dusche, Sitzbadewanne, rutschfeste Bodenbeläge und verschiedene Halter- und Stützgriffe sind hierbei nötige Maßnahmen.
Auch Smart-Home erleichtert die Pflege, indem Rollläden, Heizkörper oder Elektrogeräte bequem per App über Smartphone oder Tablett gesteuert und so schmerzvolle Bewegungen vermieden werden können. Smart Home setzte jedoch voraus, dass z. B. in den Rollladenkästen oder Heizkörpern die benötigten Steuerungsgeräte bzw. Elektromotoren integriert sind, was in vielen Fällen Umbauaufwand bedeutet.
Darüber hinaus ist es essenziell, neuen alters- und pflegegerechten, barrierearmen bzw. -freien Wohnraum zu schaffen. Insbesondere in Mehrparteien-Häusern kann es aus Platzgründen unmöglich sein bzw. nur mit unverhältnismäßigen Kosten Fahrstühle oder Treppenlifte zu installieren, sodass als Alternative nur der Neubau verbleibt.
Mobilität / Transport
Ein weiterer wichtiger Sektor ist der Bereich Mobilität und Transport. Ob regelmäßige Arztbesuche oder Einkäufe, ältere, pflegebedürftige Menschen, die sich mit dem eigenen PKW nicht mehr fortbewegen möchten oder es können, sind auf öffentlichen Personennahverkehr angewiesen. D. h. hier bedarf es einen Ausbau Personennahverkehrs, um die Mobilität pflegebedürftiger Menschen zu gewährleisten. Insbesondere in ländlichen und strukturarmen Regionen, in denen es z. B. für Ärzte nicht oder nicht mehr rentabel ist, auf dem Land eine Praxis zu eröffnen oder zu übernehmen, muss sichergestellt sein, dass Senioren den Arzt erreichen können.
Arbeitswelt / Wirtschaft
Auch in der Arbeitswelt bzw. Wirtschaft sind grundlegende Veränderungen zu erwarten. Neue Branchen entstehen oder bestehende Branchen gewinnen oder verlieren an Bedeutung. „Profiteure“ hierbei sind vor allem diejenigen Unternehmen, die sich um die Versorgung oder Bedürfnisse älterer Menschen kümmern. Hierzu gehören in erster Linie der gesamte Medizin- und Pflegebereich. Durch die Anzahl pflegebedürftiger Menschen steigt auch die Anzahl an Pflegekräften oder an medizinischem Personal. Aber auch Handwerksbetriebe aus dem Baugewerbe „profitieren“ durch den Neu- oder Ausbau von Pflegeheimen oder dem privaten alters- und pflegegerechten Umbau von Badezimmer oder Wohnbereich oder die Installation von Treppenliften von der demografischen Entwicklung bzw. dem Wandel. Neue Märkte oder Geschäftsideen entstehen beispielsweise durch auf Senioren abgestimmte Freizeit- oder Unterhaltungsprogramme, durch Transportdienstleister oder sonstige Service-Anbieter, die z. B. Botengänge übernehmen.
Durch die sukzessive Anhebung des Renteneintrittsalters müssen Arbeitgeber gleichzeitig so genannte Zivilisationskrankheiten im Blick behalten wie z. B. Herz- und Gefäßkrankheiten oder Schmerzen im Bewegungsapparat und Übergewicht durch mangelnde Bewegung, die in vielen Fällen gleichbedeutend sind mit ersten Alterserkrankungen bzw. Alterserscheinungen.
Zu den Verlierern des demografischen zählen diejenigen Branchen, die im Wesentlichen auf die Bedürfnisse der so genannten „Nachkriegsgeneration“ ausgerichtet sind. Zu nennen ist hier vor allem der Einzelhandel mit Ausnahme der von Lebensmittel. Mit zunehmendem Alter sinkt die Mobilität bzw. sterben stetig solvente Kunden des Einzelhandels. Nachkommende Generationen verzichten zwar nicht gänzlich auf Einkäufe im Einzelhandel, nutzen aber zunehmend den Online-Handel als Kaufkanal. Dadurch steigt der Druck auf Einzelhändler stetig und die Unternehmung ist im schlimmsten Falle nicht mehr rentabel.